Blickwechsel

Der Sommer bietet für viele Menschen eine Auszeit – Urlaub oder, falls man nicht wegfährt, zumindest freie Zeit oder weniger Stress. Die Sonne lacht, es ist warm, das Leben ist schön. Doch nach kurzer Zeit kehrt der Alltag zurück. Wir haben dazu im Deutschen sogar ein Bild entwickelt: der „graue Alltag“. Das Besondere der Sommer- und Ferienzeit liegt wohl darin, dass man aus alltäglichen Bahnen aussteigt, die das Leben einförmig und den Alltag „grau“ erscheinen lassen. Umso ernüchternder mag für manche der Wiedereinstieg in den Alltag sein. Vergessen scheinen die schönen Erlebnisse, die Höhepunkte, die erfüllenden und glücklichen Momente. Der graue Alltag ist wieder da – und je weiter der Herbst voranschreitet, umso mehr nimmt auch das Wetter graue Gestalt an. Doch ist es nicht eine sehr einseitige, enge Sicht, wenn man vom „grauen“ Alltag spricht? Natürlich gibt es regelmäßige Abläufe, ständig wiederkehrende Formen von Arbeit, Pflichten und Freizeit, aber ist das wirklich alles? Kann es sein, dass sich unser Blick sehr schnell auf negative Dinge richtet und daran haften bleibt? Dass wir einen „Tunnelblick“ entwickeln, dabei aber das Gute aus dem Blick verlieren?

In Psalm 103 betet der Dichter und König David:

Lobe den HERRN, meine Seele, und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat.

Er ruft sich selbst auf, Gott zu loben. Er fordert sich selbst auf, nicht zu vergessen, was Gott ihm alles Gutes getan hat. Der Grund dafür ist sicherlich nicht, dass Gott es irgendwie bräuchte, gelobt zu werden – so als ob Gott einen Mangel hätte, den wir auffüllen müssten. Gott braucht unser Lob nicht. Aber Gott verdient unser Lob. Er verdient es, weil Er gut ist und uns immer wieder Gutes tut. Doch das mag im grauen Alltag sehr schnell in Vergessenheit geraten.

Diese Selbstaufforderung, Gott zu loben und das Gute nicht zu vergessen, bewirkt etwas in uns. Stellen wir uns mal folgende Frage: Wie – in welchem Tonfall, mit welchem Gesichtsausdruck, in welcher Körperhaltung – sagt wohl jemand: „Lobe den Herrn, meine Seele, und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat“ und zählt dann das Gute auf, was Gott getan hat? Versuche es selbst: Lies Psalm 103. Ich denke nicht, dass David diese Worte mit düsterem Gesichtsausdruck und schlaff herunterhängenden Armen spricht. Sondern die Worte haben etwas Erhebendes.

Gott bewusst zu loben und aufzuzählen, was er Gutes getan hat, richtet meinen Blick auf zwei Dinge: Auf das Gute, das Gott tut und auf Gott selbst, wie gut Er ist. Dabei geschieht ein Blickwechsel: Weg von dem „grauen“ Alltag, hin zu Gott und dem Guten, das Er in mein Leben gibt. Hier geht es nicht um positives Denken, das einfach die schweren Dinge des Lebens ausblendet, sondern es geht darum, das Leben in seiner ganzen Realität wahrzunehmen. Im Mittelpunkt des Lebens steht Gott, der als gnädiger Herr und barmherziger Vater in allem da ist und Gutes tut: in den schönen, wie in den schweren Dingen meines Lebens, in meiner Freude, meinem Leid und sogar in meiner Schuld. Er ist da! Er vergisst mich nicht! Er ist in meinem Leben am Wirken, sowohl im „grauen Alltag“ als auch auf der Sonnenseite des Lebens.

Es scheint, wir brauchen diesen täglichen Blickwechsel – egal, ob grauer Alltag oder Sonnenseite des Lebens: Den Blickwechsel auf Gott hin, der in unserem Leben wirkt und Gutes tut. Es mag überraschen, wie viel mehr wir von seinem Wirken in unserem Leben erkennen, wenn wir Ihn bewusst in den Blick nehmen.