Freund oder Feind?

Wer kennt ihn nicht, den (Glaubens-)Zweifel? Wer hat noch nie erlebt, wie er an einem nagt? Dieses Gefühl des hin- und hergerissen Seins? Gibt es Gott wirklich? Was, wenn wir uns alle täuschen? Oder liebt mich Gott immer noch? Nach all dem, was ich getan habe? Nach all dem, was mir widerfahren ist? Steht Gott noch auf meiner Seite? Stimmt es wirklich, was in der Bibel steht? Oder sind es doch nur Menschenworte?

Das sind Fragen, die wohl jeden Christen immer mal wieder bewegen – ausnahmslos. Nicht nur „frisch bekehrte Christen“ haben mit Zweifel zu kämpfen – auch Gläubige, die schon viele Jahre ihren Weg mit Jesus gehen. Und weißt du was? Das ist nicht schlimm. Denn Zweifel muss kein Ausdruck von Versagen sein. Auch nicht von Unglauben. Denn Zweifel kann ein Ausdruck innerlicher Veränderung sein. Ein Ausdruck dessen, dass wir im Glauben wachsen und Dinge zu Recht hinterfragen. Zweifel ist auch ein Ausdruck eines nicht-fatalistischen Glaubens (also dass alles unabänderlich vorherbestimmt ist).

Ich wage mal die These: wer nie zweifelt, hinterfragt nichts und macht deshalb im Glauben auch keine Schritte vorwärts. Denn das Leben ist zu komplex; die Bibel ist zu komplex und Gott ist zu komplex, um einfach alles im Glauben hinzunehmen, ohne es zu hinterfragen und jemals daran zu zweifeln.

So kann das Zweifeln Ausdruck dessen sein, dass man auf der Suche ist. Dass man am „Ringen“ um die Wahrheit ist. Dass man sich intensiv mit Gott und dem Leben auseinandersetzt. Die Frage ist also nicht, ob man als Christ zweifeln darf, sondern wie man mit dem Zweifel umgeht. Lasse ich mich von der Unsicherheit und Unentschlossenheit von Gott wegführen, oder jage ich gerade wegen des Zweifels noch mehr auf Gott und seine Wahrheit zu, weil ich Glaubensgewissheit haben möchte?

Gründe zu zweifeln gibt es ja eigentlich zu genüge. Innerhalb einer Stunde, innerhalb einer Minute, ja sogar innerhalb einer Sekunde kann es geschehen, dass das ganze Leben auf den Kopf gestellt wird. Ein Unfall, eine Diagnose, eine Todesnachricht, eine unerwartete Kündigung oder ähnliches. Auch wir Christen werden nicht immer davor bewahrt. Schicksalsschläge machen vor keinem halt. Das sind Situationen, wo der Zweifel berechtigt „anklopft“. Da wäre es falsch, diesen Zweifel einfach zu ignorieren oder sogar zu leugnen. Da müssen und dürfen wir uns dem Zweifel stellen, mit dem Ziel, ihn zu überwinden.

Wie gut ist es in solchen Momenten, wenn man Personen um sich hat, die den Vers aus Judas 22 zu Herzen nehmen: Erbarmt euch derer, die zweifeln!

Anstelle von Vorwürfen ist das Erbarmen die richtige Reaktion auf den Zweifel eines Gläubigen. Denn Vorwürfe macht man sich ja selber meist schon genug. Da sind wir darauf angewiesen, dass andere uns mit Erbarmen und Nachsicht begegnen und sich mit uns auf den Weg machen, sich gemeinsam dem Zweifel zu stellen, ihn zu überwinden und dadurch im Glauben zu wachsen.

Ich wünsche mir, dass wir Christen immer mehr lernen, auch in diesem Bereich offen und ehrlich miteinander zu sein. Dass wir nicht aus Angst davor, was wohl mein Nächster denkt, alleine mit unserem Zweifel dastehen, sondern wir einander auch an solchen Gedanken und Kämpfen teilhaben lassen. In wie vielen Situationen hätte es anders ausgehen können, wenn sich jemand über einen von Zweifel geplagten Bruder erbarmt hätte?

Gerade in solch schwierigen Zeiten zeigt sich doch wirkliche Bruderschaft erst richtig. Denn wenn ein Teil des Körpers leidet, so leidet der ganze Körper (1. Korinther 12,26). Deshalb darf mir der Zweifel eines Bruders/einer Schwester nicht gleichgültig sein, sondern ich soll ihm/ihr hilfsbereit begegnen; in Erbarmen und nicht mit Vorwürfen. Nur so kann aus dem Zweifel etwas Positives, etwas „Glauben-Stärkendes“ entstehen. Lasst uns also den Zweifel weder ignorieren, noch leugnen, sondern gemeinsam entgegentreten und daran wachsen.